Die Dinosaurier sind ausgestorben, Bäume aus jener Zeit aber nicht.
Aus der großen Vielfalt der Vegetation, die damals existierte, haben nur wenige Pflanzen wie z.B. Palmfarne und Schachtelhalme und einige, sehr wenige, Baumarten bis heute überlebt.
Der Begriff "Urweltbäume" deutet darauf hin, dass diese aus einer Epoche stammen, die weit vor der Entwicklung aller anderen, uns bekannten Bäume lag. Auch die Bezeichnung "lebendes Fossil" lässt ahnen, dass es sich um etwas sehr Altes handelt, was eigentlich schon längst ausgestorben sein müsste. Etwas, das man nur aus Versteinerungen kennt und das dann doch noch lebt.
Fünf von diesen Baumarten sind hier, neben der Kirche an der Visselquelle, vertreten.
Um die evolutionsgeschichtliche Dimension zu veranschaulichen, kann man sich die Breite einer Mauerfuge an der Kirchenwand als die Zeitspanne von Christi Geburt bis jetzt vorstellen. Eine Ziegelsteinbreite entspricht demnach cirka 50.000 Jahre, die Länge der Kirche ungefähr 7 Millionen Jahre. Auf der Zeitschiene weitergedacht, haben sich auf der Länge der Goethestraße alle uns heute bekannten Pflanzen in enormer Vielfalt entwickelt. Die meisten sind inzwischen schon wieder von dieser Erde verschwunden. Einige wenige haben sich in ihrer ursprünglichen Form bis in unsere Zeit erhalten. Fast alle Pflanzen, die heute existieren, sind "moderne" Typen und noch relativ jung. Der Ginkgo-Baum ist da etwas Besonderes:
Keine Baumart ist stammesgeschichtlich so alt wie der Ginkgo. Auch nimmt er in der Pflanzensystematik eine Sonderstellung ein, weil er nicht eindeutig Laub- oder Nadelbaum ist und wegen seiner Samenzellen sogar mit Palmen verwandt ist. Aus einer großen Anzahl von ähnlichen Gewächsen, die im Zeitalter des Jura und in der Trias (vor 140-250 Mio. Jahren) über die Nordhemisphäre weit verbreitet waren, ist er der einzige verbleibende Vertreter. Seine Vorläufer gab es wahrscheinlich schon vor über 300 Millionen Jahren. Das ist in unserer Veranschaulichung ungefähr beim Bahnhof. Nur 500 m weiter bildeten sich die ersten baumartigen Pflanzen auf diesem Planeten. Die Geburt der Erde selbst, vor 4.500 Millionen Jahren, war demnach an der Aller bei Verden.
Nach unserem Beispiel begann das Kreidezeitalter beim Sonnentaugelände und endete vor 65 Millionen Jahren mit dem Aussterben der Dinosaurier in der Mitte der Goethestraße. Schon früh in der Kreidezeit entwickelte sich der Tulpenbaum als ein Vorläufer von allen heutigen Laubbäumen (Bedecktsamer), die sich erst viel später in großer Vielfalt selektierten.
Im Tertiärzeitalter, das ist die restliche Strecke der Goethestraße bis zur Kirche, reichte sein Ausbreitungsgebiet bis nach Mitteleuropa. Mit den Eiszeiten ist dieser Baum hier allerdings ausgestorben. In Nordamerika, in den südöstlichen USA, hat eine Art überlebt, eine andere in einer Provinz in China.
Auch die Mammutbäume und besonders die wasserliebende Sumpfzypresse hatten ein sehr großes Verbreitungsgebiet. Ihr Vorkommen ersteckte sich über die ganze Nordhalbkugel. Die Sumpfzypresse war maßgeblich an der Bildung der Braunkohle beteiligt.
Die Kontinente formten sich zu ihrer heutigen Position erst im Bereich der Kreuzung vor der Kirche. Die Entwicklung vom Affen zum Menschen vollzog sich in unserem Zeitmodell erst wenige Meter vor der Kirche. Das Ende der letzten Eiszeit liegt mit 12.000 Jahren aber erstaunlicherweise nur 6 cm zurück.
Für keine andere Baumart ist die Bezeichnung "lebendes Fossil" so zutreffend, wie bei dem Urwelt-Mammutbaum. 1941 entdeckte man in Japan Versteinerungen eines prähistorischen Baumes, den man noch nicht kannte, und nannte ihn "Metaseqvoia". Im gleichen Jahr fand ein Biologe in China einen lebenden Baum, der ebenfalls unbekannt war. Weitere Expeditionen im Jahre 1944 und 1946 brachten die Gewissheit, dass es sich um die ausgestorben geglaubte "Metaseqvoia" handelte. Es wurden in einem Gebiet von 800 km² einige Hundert jener Bäume gefunden. Diese Entdeckung erregte großes Aufsehen in der ganzen Welt. Ab 1952 gab es durch Vermehrung eine sehr schnelle Verbreitung in den botanischen Gärten in Amerika und Europa und inzwischen in der ganzen Welt. Nie zuvor hatte ein Baum solch eine Erfolgsgeschichte.
Auch die Bestände der Riesen- oder Bergmammutbäume (seqvoiadendron giganteum) waren auf ein sehr kleines Areal geschrumpft. Auf nur 7.000 Hektar in den Bergen Kaliforniens hatte sich ein Restbestand dieser Art zurückgezogen. 1853 kamen erstmals deren Samen nach Europa. Wegen der enormen Holzmenge wurden damals aber auch viele Bäume gefällt.
Inzwischen sind sie ein Nationalheiligtum der USA. Das eindrucksvollste Exemplar im Yoshemite Nationalpark ist der wahrscheinlich 3.000 Jahre alte "General Sherman", mit 8,2 m Stammdurchmesser und über 1.500 m³ Stamminhalt. Damit ist er das größte Lebewesen der Erde.
Der Begriff "Seqvoia" in seiner lateinischen Bezeichnung leitet sich von dem Indianer Se-qvo-yah ab, der das erste indianische Alphabet sowie auch Schrift entwickelte. Er war Sohn einer Irokesin und eines Deutschen. Andere Bezeichnungen für diesen Baum sind "Giant Seqvoid", "Wellingtonie" oder im Amerikanischen einfach nur "Bigtree".
Eine dritte Mammutbaumart, die auch in Kalifornien ihren letzten Verbreitungsraum gefunden hat, ist der in den USA "Redwood" genannte Küstenmammutbaum (seqvoia sempervirens). Ähnlich, aber schlanker als der Bergmammutbaum, wird er mit diesem häufig verwechselt. Küstenmammutbäume können ebenfalls sehr alt werden und eine Höhe von über 110m erreichen. Damit sind sie die Weltmeister im Höhenwachstum. Wegen der besonderen Standortansprüche gedeiht er in unseren Breiten nur in günstigen Lagen.
Zwei weitere Urweltbäume, die in dieser Sammlung fehlen, sind die Araukarie bzw. Audentanne aus Chile und die erst 1994 in Australien entdeckte Wollemia.
Von Versteinerungen aus früheren Perioden der Erdgeschichte kannte man schon lange die Wollmia. Deshalb war der Fund von rund 50 Individuen dieser Art in einer unzugänglichen Schlucht in einem Nationalpark nahe Sydney die erstaunlichste Entdeckung der letzten Jahrzehnte. Sie ist somit das dritte wortwörtliche "lebende Fossil" neben dem Urweltmammutbaum und den urtümlichen, 1938 erstmals lebend gefangenen Quastenflosser-Fisch.
Besonders die mächtige Stammstärke der hier stehenden Mammutbäume lassen uns glauben, es handle sich um sehr alte Bäume. Aber sie sind noch jung. Sie wurden erst 1960, nach einer Sanierung der Visselquelle, zusammen mit den Sumpfzypressen und dem Tulpenbaum, gepflanzt. Dies zeigt uns, zu welcher gewaltigen Wuchsleistung diese Bäume fähig sind und lässt uns nur ahnen, wie imposant sie wohl in 100 oder vielleicht sogar 500 Jahren sein werden.
Heiner Kemna, November 2012