In Visselhövede möchte man versuchen, neue Wege zu gehen und Energie lokal zu produzieren. In einer kürzlich abgehaltenen Bürgerversammlung stellten Fachleute bekannterweise das Potenzial für ein Wärmenetz aus Quellen der Tiefengeothermie vor. In der sehr gut besuchten Veranstaltung wurden zudem Pläne für ein riesiges Fotovoltaik-Projekt an der Vissel vorgestellt – samt Millionengeschenk für die Stadt Visselhövede. Der Vertreter der Investorin, die Beteiligungsgesellschaft „CapCerta“, Oliver Tobies, erläuterte, wie die Stadt in den Genuss von 100 Millionen Kilowattstunden Strom kostenlos kommen könnte. Bis jetzt ist das alles aber noch Zukunftsmusik.
Der Ingenieur aus Scheeßel beschrieb die Zusammenhänge zwischen den unterschiedlichen erneuerbaren Energieträgern und wie Visselhövede dabei von dem Großprojekt profitieren könne. „Das Ziel ist, Visselhövede mit Wärme und Strom zu versorgen“, fasste er die Zukunftsvision für das Jahr 2030 zusammen.
Kurz skizziert würde das heißen, dass die Wärmepumpen für das Wärmenetz aus der Geothermie mit dem Strom aus Fotovoltaik gespeist würden. Grundsätzlich sei in Visselhövede das Problem, dass wegen der Radarstation in Hiddingen keine Windkraftanlagen in Frage kommen würden und deswegen auf die Kraft der Sonne zurückgegriffen werden müsse. Diese stehe im Winter aber weniger zur Verfügung, wenn der Wärmebedarf am höchsten sei. Der starke Wind in den kühleren Jahreszeiten wehe aber ungenutzt über die Region. Die Lösung sei ein groß dimensioniertes Netz aus Fotovoltaikanlagen, das auch bei diffusem Sonnenlicht im Winter noch genug Strom produziere, um die Wärmepumpen ausreichend versorgen zu können, heißt es.
Die Prämissen der Beteiligungsgesellschaft „CapCerta“ für ihre nachhaltigen Infrastrukturprojekte zur nationalen und globalen Energiewende sollen klimaneutral, sozial, preisstabil, nachhaltig und unabhängig sein, so Tobies. „CapCerta“ realisierte kürzlich ebenfalls einen Windpark in Wohlsdorf. Teil dieses Konzepts soll die intelligente Nutzung der erneuerbaren Energien sein, die durch Einspeisungsprognosen und Verbrauchvorhersagen optimiert werden solle.
Hier komme das Fachwissen von der Firma Naeco Blue ins Spiel, welches Unternehmensgründer Felix Ollech vorstellte. Basiert auf Algorithmen sollen diese Prognosen getroffen werden und die Anlagen entsprechend ausgestaltet sein und betrieben werden, damit immer eine optimale Energieversorgung gewährleistet bleibe. „Das ist Versorgungssicherheit“, so Ollech. „Wir sind sehr daran interessiert, das Projekt zu realisieren.“
Daher könne man der Stadt Visselhövede die Aussicht von jährlich 100 Millionen gratis Kilowattstunden Strom ins Schaufenster stellen. Durch die hohe solare Stromproduktion im Sommer würde der Strombedarf im Winter quasi quersubventioniert. Den Wärmebedarf im Winter pro Einwohner in Visselhövede berechneten die Ingenieure mit 1200 Kilowattstunden, der eben durch den Energiemix aus Geothermie und Strom aus diffuser Wintersonne bedeckt werden solle.
Hochrechnungen ergäben dabei einen Flächenbedarf für die Fotovoltaik-Anlagen von 500 Hektar. Tobies zeigte in seiner Präsentation bereits ungefähr 240 Hektar Gunstfläche auf dem Stadtgebiet auf, wo Fotovoltaik schon heute rechtlich möglich wäre. Für die Landwirte wies er auf den landwirtschaftlichen Interessenausgleich hin, wodurch eine hybride Nutzung der Flächen organisiert werden solle. Den Flächeneigentümern winke natürlich dennoch ein Pachtzins für jeden Quadratmeter. „Wir brauchen größere zusammenhängende Flächen“, erläuterte Tobies. Nicht jeder kleine Garten wäre geeignet.
Bei den anwesenden Visselstädtern sorgte natürlich das mögliche 100 Millionen Kilowattstundengeschenk für großes Aufsehen, zumal Tobies bei einem Preis von 15 Cent pro Kilowattstunde schnell 15 Millionen Euro vorrechnete. „Was die Stadt mit den 100 Millionen Kilowattstunden macht, muss sie aber selbst entscheiden“, stellte er klar, weil einige Zuhörer schon dachten, dass die Einwohner unmittelbar vom Gratisstrom profitieren könnten.
Bürgermeister André Lüdemann versuchte, die Offerte einzuordnen. „Wo wollen wir hin als Stadt?“, fragte er. Denn viele Anbieter wollten Fotovoltaik-Projekte in Visselhövede starten und hätten ihn schon kontaktiert, aber die wenigsten der anderen Unternehmen wollten noch nicht einmal den Firmensitz vor Ort ansiedeln. „Die Wertschöpfung muss bei uns bleiben“, so Lüdemann. Die aktuelle Projektvorstellung solle aber ausdrücklich keine Vorfestlegung sein.
Präsentationen der Infoveranstaltung am 18.10.2022 hier zum Download
Text: kreiszeitung.de, Henning Leeske v. 24.10.2022